Daddy, Ive seen this piece six times before and I still dont know why they are hurting each other...
A piece by Robyn Orlin
World premiere: FNB/Dance Umbrella- Johannesburg, 1998
In collaboration with Gerard Bester, Nico Moremi, Toni Morkel, Pule Molebatsi, Neli Xaba, Dudu Yende
Concept/ choreography/ costumes and direction: Robyn Orlin
Tour manager: Michael Maxwell
Stage manager: Thabo Pulle
Administration: Damien Valette
Coproductions: City Theater & Dance Group.
With the support of FNB/Dance Umbrella, Keith Kirstens, Basa & French Institute and the National Arts Council of South Africa.
Robyn Orlin's Daddy explores politics in the arts in terms of performance empowerment and ownership of space. Six performers fight over the same space while they wait for their director to arrive for a performance. The performers wait in panic five minutes before the show, but the director has not arrived. Their waiting becomes the background against which a collage of dances are set.
The production of Daddy won the prestigious Laurence Olivier Theatre Award for Outstanding Achievement in Dance 2003.
It came third in the African and Indian Ocean Choreographic Competition and also won the Jan Fabre Award at the Bagnolet Choreographic Society.
ballet/tanz, 3/2001
"Ich weiß nicht, warum wir noch Arabesque oder Pirouette machen müssen"
von Klaus Witzeling
Die Choreografin aus Südafrika will "Politischen Tanz". Keine Arabesque aus Selbstzweck, nicht solange man die gesellschaftliche und politische Kultur aus den Augen zu verlieren droht. Egal, ob in Südafrika oder Europa. Ein Plädoyer für eine Politik des Körpers.
Die südafrikanische Choreografin und Performerin Robyn Orlin interessiert Tanz nur deshalb, weil er politisch sein kann. Und wenn er politisch ist. Sie selbst schreckt davor zurück, sich eine Choreografin zu nennen. Mehrmals hat sie öffentlich kundgetan, mit dem Tanz abzuschließen, wenn er nicht politisch sein will. Was die am Londoner Royal Ballet klassisch ausgebildete Künstlerin nicht daran hindert, über Tanz trotzdem nachzudenken und mit Tänzern zu arbeiten. "Die Frage ist doch: Warum machen wir Dégagé, Plié und Pirouette?" Es gibt auf Technik fußende Gründe, warum Tänzer Pliés ausführen. Sie steigern die Ausdehnung im Becken und Muskelkraft, um besser der Schwerkraft zu widerstehen.
"Doch wozu sollen oder wollen wir das?" Wonach fragt der Tanz? "Nur am Körper interessiert sein, halte ich für problematisch. Man sollte sich auch die Geschichte des Körpers anschauen- the politics of body. Ich möchte den Körper innerhalb einer Kultur verstehen. Das ist viel wichtiger."
Ihr neues "Stück für fünf Spieler und eine abwesende Choreografin" mit dem ellenlangen Titel "Daddy, I' ve Seen This Piece Six Times Before And I Still Don't Know Why They Are Hurting Each Other", das bei den IndepenDance Days 2001 in Hamburg Deutschlandpremiere hatte, setzte die Akteure der Selbstbestimmung und Selbstfindung aus - analog zur politischen Situation in Orlins Heimat Südafrika.
"Es geht mir nicht darum zu zeigen, dass weiße und schwarze Kultur miteinander nicht funktioniert. Der springende Punkt ist vielmehr, das Menschen zu selbstständiger Identität finden."
Ohne Regiediktatorin - sie hat sich verspätet - machen sich die Spieler daran, alle stereotypen Körperbilder, die kulturellen und sozialen Klischees ihrer vielgestaltigen Gesellschaft durchzuspielen und zu zertrümmern - nicht ohne sich dabei gnadenlos über sich selber lustig zu machen.
Die dicke schwarze Mama, das Symbol für das Rückgrat der Nation, ist ebenso vertreten wie die weiße Faschistin und die black beauty, die sich mit Mehl bestäubt, um im weißen Akt von "Schwanensee" reüssieren zu können. Die boshafte Attacke gegen die imperialistische Leitkultur der in ihren Folgen nicht überwundenen Apartheid.
Im Kontext von Orlins chaotisch, bewusst klamaukiger Performance ("Ich mag altmodisches Entertainment, sogar wenn es schlecht ist") wird jedes Tendue zur satirischen Spottspitze gegen die Klassengesellschaft, wird das Gekabbel der Performer um den Platz im Rampenlicht zur Metapher für den Kampf um Land und die politics of space.
Die "Politik des Raumes" beschäftigt die Performance- Künstlerin, die am Art Institut in Chicago graduierte, nicht nur hinsichtlich der Situation auf den Straßen Johannesburgs, den historischen und gegenwärtigen Spannungen, sondern auch im theatralen Sinn: in den Reflexionen über die Spieler, ihre Motivation aufzutreten, die Beziehung zu sich, den anderen, der Regisseurin. Die Prozesse innerhalb dieser Räume interessieren sie und nicht das abgeschlossene Bild. " Insofern bin ich eine Antiästhetikerin. Wie Ästhetik entsteht, macht mich neugierig, nicht aber die tatsächliche Ästhetik."
Alle "reine" oder vorgeblich authentische Kunst ist Orlin ohnehin suspekt. "Es gibt keinen afrikanischen Tanz. Ich bin in Afrika geboren. Bin ich schwarz?" Die Ikonoklastin des Tanzes nennt sich selbst einen artistic tsotsi - einen künstlerischen Dieb. Der Afrikaans-Zulu-Begriff bezeichnet einen alerten Typen, der sich nimmt, was er braucht, um zu überleben. Orlin arbeitet mit wenig Geld und der Hilfe vieler Leute. Obwohl sie sich selbst mehr an der Peripherie der Umwälzungsprozesse in ihrer Heimat sieht, fühlt sie sich einbezogen in die politischen Kämpfe.
"Ich halte das für pervers, wenn man den Kontext, in dem man lebt und arbeitet, nicht erkennt und in seiner Kunst ausklammert. Alle Choreografen, die sich nicht erlauben, ihr soziales und kulturelles Umfeld zu reflektieren, finde ich bedauernswert. Andererseits kann es ein hochpolitischer Akt sein, in den Zeiten von Apartheid nur Landschaften gemalt zu haben. Was ich damit sagen will: Es gibt nicht nur einen Weg, kreativ zu sein. Das ist keine Frage von richtig oder falsch. Ich weiß nur keinen anderen Weg für mich."
Die WELT, 13.01.2001
Warum mögen Sie kein Ballett, Frau Orlin?
Robyn Orlin im Gespräch mit Gyde Cold
Eine südafrikanische Produktion eröffnet die Indepen-Dance Days auf Kampnagel
Sieben Tanzkompanien aus aller Welt sind während der Indepen-Dance-Days 2001 vom 13. bis zum 27. Januar auf Kampnagel zu Gast. Die Eröffnungsveranstaltung bestreitet Robyn Orlin aus Südafrika.
Die Choreografin wurde 1955 in Johannesburg geboren und gewann zahlreiche Preise. In ihren Arbeiten befasst sie sich mit den politischen Verhältnissen ihrer Heimat. Heute hat "Daddy, I've seen this piece six times before and I still don't know why they are hurting each other" Deutschlandpremiere.
Die Welt: Was bedeutet dieser seltsame Titel?
Orlin: Er trifft die Essenz meines Stückes, in dem geschaut wird, was heute in Südafrika passiert: wie die Menschen versuchen, mit der neuen Regierung zurecht- zukommen, wie Künstler in Johannesburg überleben.
Mein Stück handelt von Problemen der Macht, von Vertrauen und Rassismus.
Die Welt: Sind die Menschen ohne das Apartheidsystem desorientiert?
Orlin: Alle Südafrikaner müssen heute Verantwortung übernehmen- für sich und für ihr Land. Das war während der Apartheid anders, da wurde gesagt, was man zu denken hat, wie man sich verhalten muss, was man lesen darf- und drei Viertel der Bevölkerung durfte nicht wählen! Seither hat sich vieles verändert. Ich interessiere mich für diese Veränderung.
Die Welt: Wirkt es in Ihrer Heimat provozierend, dass Sie mit schwarzen und
mit weißen Performern arbeiten?
Orlin: Ich sehe in Südafrika keine andere Möglichkeit, als mit Schwarzen und Weißen
zusammenzuarbeiten. Das Wichtigste für uns in Südafrika ist, dass wir aufhören, in Hautfarben zu denken.
Die Welt: Wie arbeiten Sie?
Orlin: Ich gebe den zwei Schauspielern und drei Tänzern innerhalb einer festen Struktur viel Freiheit. Wir improvisieren. Mich interessieren Situationen, in denen Menschen sich nicht wohl fühlen. An bestimmten Orten, in bestimmten Konstellationen herrscht Unbehagen. Ich suche nach Dynamik von Momenten, in denen sich meine Performer unwohl fühlen.
Die Welt: Welche Bedeutung hat das Ballett in Ihrem Stück?
Orlin: Ballett finde ich sehr problematisch, vor allem in Südafrika- hier ist es ein Symbol des Kolonialismus. Es gibt keine schwarzen Tänzer in den Ballettkompanien. Ich selbst habe eine harte Geschichte mit dem Ballett hinter mir, und inzwischen lehne ich diese Ästhetik ab, ich fühle mich nicht mehr wohl mit ihr. In "Daddy, I' ve seen this piece six times before and I still don't know why they are hurting each other" konfrontiere ich die Ballettästhetik auf subtile Weise mit dem traditionellen afrikanischen Tanz.
Die Welt: Neben all dem politischen Ernst gibt es auch kabarettistische Elemente in Ihrem Stück, wie kam es dazu?
Orlin: Das hatte ich erst gar nicht beabsichtigt. Aber es gab während der Proben sehr lustige Momente, und die habe ich gerne aufgenommen. Der Humor ist eine feine Linie, die sich durch das ganze Stück zieht. Ich denke sowieso, dass sich Tänzer meistens viel zu ernst nehmen.
Die Welt: Wie sind Ihre Arbeitsbedingungen?
Orlin: Obwohl ich seit 20 Jahren in Südafrika arbeite, sind sie immer noch sehr hart. Manchmal weiß ich gar nicht, wie ich es geschafft habe. In der Zeit der Apartheid habe ich nie für die staatlichen Kultureinrichtungen gearbeitet. Ich war immer unabhängig und habe viel Tanz unterrichtet- mit Kindern, am Market Theatre, für die Vereinigung schwarzer Künstler. Genau wie meine Tänzer musste ich mein Geld mit anderen Arbeiten verdienen und konnte meine Produktionen nur nebenher machen.
Die Welt: Wo finden Sie Ihre Tänzer?
Orlin: Viele kommen von dem Market Theatre in Johannesburg, wo ich auch unterrichte - unter ihnen gibt es unglaubliche Talente.
Die Welt: Sie gelten als eine der wenigen Vertreterinnen des modernen Tanzes in Afrika. Wie ist es sonst um ihn bestellt?
Orlin: Der zeitgenössische afrikanische Tanz ist nicht sehr entwickelt. Aber es gab in den letzten Jahren Unterstützung aus Europa, um ihn zu stärken. Außer in Südafrika fängt er an, sich in Madagaskar zu entfalten. Es ist eine Frage der Beharrlichkeit - aber er wird zu seiner Identität finden.